Am 27.01.2024 wird es 79 Jahre her sein, dass im Rahmen des Vorrückens der Armeen der Antihitlerkoalition gegen das „Dritte“ Deutsche Reich Soldaten der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz befreiten. Seit 19 Jahren gilt dieser Tag als „Internationaler Holocaust Gedenktag“. Offizielle Gedenkveranstaltungen prägen – insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland – diesen Tag. In unserem jüdischen Gemeindezentrum in der Freiburger Altstadt – der „Neuen Synagoge“ – gehen wir das ganze Jahr über täglich an der Gedenktafel mit den 379 Namen der am 22.10.1940 deportierten und ermordeten Freiburger Jüdinnen und Juden vorbei. Zu den heute wieder in Freiburg lebenden rund 600 Mitgliedern unserer Jüdischen Gemeinde Freiburg gehören auch noch über 100 Menschen, die als Kinder u.a. in Ghettos und Verstecken den Holocaust überlebten (während teils die gesamte Familie im Holocaust ermordet wurde). Für uns ist das Gedenken an den Holocaust mithin selbst täglich gelebte Gegenwart.
Was dem 07.10. folgte, war, wie wir zu unserem tiefsten Bedauern und Schock feststellen mussten – noch im Schock über den 07.10 an sich und in Trauer und Sorge um Familie und Freunde –, nicht eine umfassende Solidarität mit den Opfern, sondern Aufrufe zu weltweiten Angriffen auf jüdische Einrichtungen und Personen, allein in Deutschland weit über 1000 antisemitische Straftaten allein im letzten Quartal, darunter auch physische Anschläge auf Synagogen u.a. mit Molotowcocktails, auf Haustüren geschmierte Davidsterne, Forderungen nach einer „Reichspogromnacht 2.0“, von der UN, die in ihren Schulen in Gaza nachweislich eliminatorisch-antisemitische Indoktrination betrieb und damit auch die Täter vom 07.10. formte, bis in die Universitäten in Europa und den USA betriebene Täter-Opfer-Umkehr, einseitige Verurteilungen Israels und Leugnung der bestialischen Verbrechen des 07.10.2023 oder gar deren Verklärung zu einem Akt des Widerstands, donnerndes Schweigen der sonst so lauten Frauen- und anderweitigen Emanzipationsgruppen zu den gezielten Vergewaltigungen der eliminatorischen Antisemiten, frei nach dem Motto „me too unless you’re a jew“.
Auch bei uns in Freiburg kam es zu antisemitischen Übergriffen und Demonstrationen. Bei den Zurückweisungen, Schutz- und Alibibehauptungen bemühen sich die Organisatorinnen und Organisatoren von „Palästina spricht“ dabei offensichtlich nicht mal mehr um ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit. Da helfen auch nicht die paar wenigen als Alibi vorgeschobenen angeblich jüdischen Teilnehmerinnen oder Teilnehmer von der sogenannten „Jüdischen Stimme“, die die Neuauflage der NS-Kampagne „Kauft nicht bei Juden“ unterstützt – auch als BDS bekannt –, die bekanntlich nicht nur zum Boykott Israels, sondern auch jüdischer Künstlerinnen und Künstler und Unternehmerinnen und Unternehmer weltweit aufruft. So setzte eine dieser angeblich jüdischen Stimmen auf einer der Kundgebungen von „Palästina spricht“ Freiburg im Herbst nach dem 07.10.2023 den gelben „Judenstern“ im „Dritten Reich“ mit dem blauen Davidstern auf der Nationalflagge Israels in ihren Bedeutungen gleich. Die antisemitische Perfidie dieser Gleichsetzung springt geradezu ins Auge. Hat man doch spätestens am 07.10.2023 an den von den Tätern selbst in Netz gestellten Videos weltweit in aller Deutlichkeit erkennen können, dass wir ohne Israel eine Neuauflage des Holocaust erleben würden. In dieser Gleichsetzung lag auch eine eindeutige Verharmlosung des Holocaust und damit eine nach § 130 Abs. 3 StGB strafbare Volksverhetzung. Vor allem aber zeugt diese, in den Social-Media- Kanälen von „Palästina spricht“ Freiburg geteilte, Rede bereits von einer offen antisemitischen Grundhaltung. Offener Antisemitismus hat in diesem Milieu eine lange Tradition. Und das Gedächtnis der jüdischen Gemeinschaft reicht zum Glück weiter zurück, als das von Schlagzeilen oder „Social Media“. So haben wir nicht die Palästina-Demonstrationen von 2014 vergessen, wo vor Synagogen in Deutschland „Juden ins Gas“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ skandiert wurde. Wir haben auch nicht die Demonstrationen von „Palästina spricht“ im Jahr 2022 in Berlin vergessen, aus denen heraus Journalisten bedroht und als „Drecksjuden“ beschimpft wurden. Wir haben nicht die Demonstrationen von „Palästina spricht“ in Freiburg von 2021 vergessen, auf denen auf dem Platz der alten Synagoge Schilder hochgehalten wurden, mit Aufschriften, wie „Stop doing, what Hitler did to you“ oder „Israel ist kein Land, ihr seid ein Volk ohne Land, es ist an der Zeit, Palästina wieder zu erobern!“. Ebenfalls eindeutige Fälle antisemitischer Volksverhetzung und von den Beauftragten der Länder für den Kampf gegen Antisemitismus auch entsprechend eingeordnet. Auch damals wurde uns sowie dem Amt für öffentliche Ordnung im Vorfeld von den Organisatorinnen und Organisatoren von „Palästina spricht“ hoch und heilig versichert, sie hätten keinerlei antisemitische Intentionen. Entgegen ihren leeren Versprechungen und Zusicherungen von Neugründung und Umorientierung zeugen auch die Foto- und
Videoaufnahmen ihrer jüngsten Demonstrationen im vergangenen Herbst davon, wie graphische Darstellungen der verbotenen Parole „From the river tot he sea“ (hier rechts im Bild), die auf eine Vernichtung Israels und damit – wie man 07.10.2023 überdeutlich gesehen hat – auch der Jüdinnen und Juden in der Region abzielt, offen getragen wurden, und Sprüche, wie „Kindermörder Israel“, und auf Arabisch „mit dem Blut und der Seele opfern wir uns dir, Palästina“ gerufen wurden. Die bundesweite Gruppe „Palästina spricht“ feierte auf Instagram Massenmord und Vergewaltigung als „Ausbruch“ und Akt des Widerstands und eine glaubhafte Distanzierung aus Freiburg ist bis zum heutigen Tage nicht erfolgt.
Da verwundert es auch kaum noch, dass der „Palästina spricht“ Freiburg Account auf Instagram offen antisemitische Vernichtungsphantasien des militärischen Arms der Hamas liked.
Ob auch der Drohbrief, den wir unmittelbar nach dem Gedenktag zur Reichspogromnacht am 09.11. bekamen, der die „Fortsetzung des Werks der Vernichtung des Judentums“
ankündigt, und das Über- sprühen der Plakate mit den von der Hamas entführten Geiseln auch aus dem Umfeld von „Palästina spricht“ Freiburg kamen, können wir nicht sagen, da die Ermittlungen in den Fällen noch andauern. Nach alledem, was wir aber aus diesem Umfeld erleben, liegt der Verdacht zumindest nicht ganz fern.
Umso mehr schockiert und entsetzt sind wir darüber, dass Mitglieder der VVN, die wir aus der Gedenkarbeit kennen, offenbar unterstützend bei antisemitischen Demonstrationen von „Palästina spricht“ Freiburg mitlaufen, wegen denen die Jüdische Gemeinde – erstmals seit dem allgemeinen Corona-Lockdown – auch bereits gezwungen war, Shabbat-Gebete abzusagen. Sogar ein Aufruf eines VVN-Mitglieds zu einer solchen Demonstration ist bei uns eingegangen. Jüngst mussten wir sogar erfahren, dass der Freiburger Kreisverband der Partei Die Linke Anfang Februar ein Podium mit Ramsy Kilani, einem bundes- weiten Vertreter von
„Palästina spricht“ ver- anstaltet, der nachweislich ebenfalls den 07.10. als Widerstandsakt verklärt und antisemitische Verschwörungsmythen verbreitet, nach denen nicht die Hamas, sondern die israelische Armee die Massenmorde am 07.10. in Israel begangen hätte.
In einem Diskussionsbeitrag auf Instagram zu ebendieser Veranstaltung mit den Hamas-Verbrechen vom 07.10. konfrontiert, antwortete der zu einer „respektvollen Debatte“ eingeladene Referent damit,
dass „die Palästinenser als kolonisiertes Volk unter Besatzung auch ohnehin jedes Recht auf Widerstand in all seinen Formen“ hätten. Damit ist wohl auch gemeint, Mädchen vor den Augen ihrer Angehörigen mehrfach zu vergewaltigen und ihnen die Brüste abzuschneiden und Babys zu köpfen, zu verbrennen und zu entführen. So war auch genau das der Wortlaut von Hamad Ghazi, einem offiziellen Hamas-Sprecher noch im Oktober 2023 – da waren die verkohlten Körper von Frauen und Babys noch nicht identifiziert – im libanesischen Fernsehen: „Alles was wir tun, ist gerechtfertigt“. Das scheint bei der Hamas sowie ihren propagandistischen Handlagern – u.a. von „Palästina spricht“ hierzulande wohl die offizielle Sprachregelung zu sein.
Vor dem Hintergrund des 07.10.2023 und seiner Folgen haben wir bei den Gedenkveranstaltungen im vergangenen Herbst – im Einklang mit anderen jüdischen Gemeinden und Organisationen – klar und deutlich Stellung bezogen und erklärt, dass wir uns Gedanken machen müssen und machen werden, wie wir Gedenkarbeit und den Kampf gegen den – sich in den sozialen Netzwerken sowie auf Schulhöfen wie ein Lauffeuer verbreitenden – Antisemitismus künftig gestalten. Wie – ebenfalls im Herbst vergangenen Jahres angekündigt – werden wir u.a. dazu dieses Jahr auch einen zweiten großen Freiburger Fachtag gegen Antisemitismus organisieren. Bereits in unsere Arbeit einbezogen haben wir einstweilen zwei Erkenntnisse, und zwar
Gedenken kann nicht (länger) nur in wohlfeilen Sonntagsreden bestehen, sondern muss praktische Erkenntnisse und Konsequenzen im Handeln und im Hier und Jetzt nach sich ziehen. Und angesichts dessen, dass jüngst auch der Beauftragte der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus betont hat, dass „jüdisches Leben so bedroht ist, wie seit dem Holocaust nicht mehr“, heißt das für uns: „Nie wieder“, ist jetzt! Eine Konsequenz daraus ist für uns auch, dass wir mit jenen, die mit Jüdinnen und Juden (oder auch mit Menschen generell) nur solidarisch sein können, solange diese sich in einer wehrlosen Opferrolle wiederfinden, deren Solidarität aber abrupt endet, sobald sich die Angegriffenen berechtigt dagegen wehren, gewaltsam in die Opferrolle gezwungen zu werden, künftig nicht mehr zusammenarbeiten. Wer Israel und der jüdischen Gemeinschaft in ihren schwersten Stunden seit Jahrzehnten, in denen sie sich gegen eliminatorischen Terror verteidigen, nicht beisteht, ist für uns damit auch kein Partner in der Gedenkarbeit (mehr). Dasselbe gilt umso mehr für all jene, die mit Antisemiten marschieren oder ihnen ein Podium – zumal ohne Widerspruch durch Vertreterinnen oder Vertreter von eindeutig gegenteiligen Auffassungen – bieten. Bislang schlossen wir von den größeren Parteien lediglich mit der AfD jegliche Zusammenarbeit aus. Nun wird diese Liste um die Partei Die Linke ergänzt.