Am 18.10. hatten wir in Zusammenarbeit mit FREPP einen Vortrag mit Tina Sanders zum Thema „Einführung in die Antisemitismuskritik: Das Werk Jean Amérys“ geplant. Dieser sollte in einem Hörsaal der Uni Freiburg stattfinden. Am späten Freitag-Nachmittag, wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn, erreichte uns die Nachricht der Uni Freiburg, dass uns die Raumzusage kurzfristig entzogen wurde, nachdem diese eine Email mit haltlosen Anschuldigungen erhielt.
Im folgenden dokumentieren wir unseren offenen Brief an die Unileitung:
Offener Brief zur Absage des Vortrags „Einführung in die Antisemitismuskritik: Das Werk Jean Amérys“ von Tina Sanders am 18.10.2024
Sehr geehrte Frau Dr. Krieglstein,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor circa einer Woche wurde aufgrund des Schreibens des Vorsitzenden des Sozialreferates des AStA der Vortrag von Tina Sanders „Einführung in die Antisemitismuskritik: Das Werk Jean Amérys“, eine Veranstaltung des “Freiburger Bündnisses gegen Antisemitismus“, in Zusammenarbeit mit den Freiburger Roundtables: Politische Einflussnahme, Plattform & Potentiale (FRPEPP) wenige Stunden vor dem Beginn abgesagt. Nicht zufällig haben wir dieses Thema gewählt – Jean Améry, ein Überlebender der Shoah, ist bekannt dafür, dass er einer der Ersten war, der sich intensiv auch mit dem israelbezogenen Antisemitismus beschäftigt hat. Wir vermuten, dass Sie an einem Freitagabend keine Veranstaltung in der Universität haben wollten, bei der Sie befürchteten, dass es zu Störungen, Unruhen u.ä. kommt. Für die Veranstalter*innen eine mehr als ungute Situation, die Referentin war angereist, die Besucher*innen mussten nach Hause geschickt werden.
Eine uns sehr bedenklich stimmende Tatsache ist der Umstand, dass dieser Vortrag und dieser Termin nun seit Längerem bekannt waren, und dass diejenigen, die das Sozialreferat des AStAs informiert haben, dies angeblich erst so kurzfristig getan haben sollen, dass die Universität dann auch so spontan habe handeln müssen. Obwohl bereits einige Tage zuvor unter dem Willkommenspost der Universität auf Instagram gegen Frau Sanders sowie den Baden-Württembergischen Landesbeauftragten gegen Antisemitismus, Michael Blume, agitiert wurde. Dies offenbart eine Taktik, die darauf abzielt eine sachliche Prüfung im Vorhinein unmöglich zu machen und somit übereilte und unüberdachte Entscheidungen zu erzwingen. Dies ist einem Ort des Diskurses, wie die Universität einer sein sollte, unwürdig. Aus diesem Grund begrüßen wir es, dass die Absage auch von Ihnen im Nachgang unter vier Augen als übereilt und falsch eingestuft wurde. Wir würden uns hier allerdings einen öffentlichen Umgang und eine Entschuldigung bei der Referentin wünschen. Es wird Ihnen und Ihren Mitarbeitenden aufgefallen sein, dass die drei Anhänge des Briefes, den Sie erhalten haben – ein Zitat von Volker Beck aus der Welt, einer aus der Jüdischen Allgemeinen, ein Text von Instagram – nichts, aber auch gar nichts mit dem Inhalt des Briefes zu tun haben – und schon gar nichts mit „Islamfeindlichkeit“, was der Vortragenden vorgeworfen wird. Vielmehr handelt es sich hierbei um geteilte Inhalte auf dem Social Media von Sanders und dem BGA, die, wenn man der inhärenten Logik des Briefes folgen würde, die Jüdische Allgemeine und Volker Beck ebenfalls unter den erwähten Verdacht stellen müsste, was sich aller Vernunft entzieht.
Nun zu den Vorwürfen gegen Tina Sanders, die kaum etwas mit dem Vortragsthema zu tun haben und nicht der Wahrheit entsprechen: Die Referentin spricht in dem als Beweis für ihre vermeintliche „wissenschaftlich gesicherte Islamfeindlichkeit“ (Zitat des Briefs ans Rektorat) dienenden Mitschnitt eines Vortrags zum 7.10.2023 über bestimmte Zusammenhänge von Islam und Islamismus, was in keiner Weise den Islam als Religion diffamiert. Des Weiteren erwähnt sie an der Stelle ebenso, dass die Abraham Accords belegen, dass muslimische Akteure keineswegs antisemitisch sein müssen. Es ist eine, in völliger Abwesenheit von Belegen konstruierte Lüge, dass Tina Sanders „sich offen über traditionelle muslimische Frauenkleidung lustig [macht]“. Die Tatsache, dass Frau Sanders auf Instagram einen Post zu einem Protest von primär Exmuslima und säkularen Frauen z. B. aus dem Iran (wie Mina Ahadi) gegen den Muezzinruf in Köln in ihren Stories geteilt hat, bedeutet nicht mehr und nicht weniger als ihre Unterstützung für diejenigen, die am meisten und zuallererst vom Islamismus und politischen Islam bedroht sind. Ebenso wird aufgrund von Sanders Bezugnahme auf Matthias Küntzel in ihrem Vortrag zum 7.10. in diesem Schreiben auch er als Rassist diffamiert, obwohl er sich an keiner Stelle seiner Schriften und Vorträge auf die an Sie in dem Brief kolportierten Weise geäußert hat. Seine Vorträge sind öffentlich bekannt und zugänglich, es ist mehr als einfach, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Selbiges gilt für Frau Sanders selbst.
Wir müssen davon ausgehen, dass diese Aktion – anders ist dieses Vorgehen seitens derer, die dem AStA die Missinformation zuspielten und dem Sozialreferenten des AStA, der diese an Sie weitergeleitet hat, nicht zu bezeichnen – sowie das Beschmieren des geplanten Veranstaltungsorts (Hörsaal 1221) mit „Free Gaza“ in roter Farbe – gezielt geplant waren, um eine Aufklärungsarbeit des „Freiburger Bündnisses gegen Antisemitismus“ unmöglich zu machen und die Referentin zu diffamieren. Auch müssen hier die öffentlichen Drohgebärden gegen einen der Veranstalter an Fassaden von Gebäuden der Universität und des Studierendenwerks eingebettet werden. Dermaßen explizit öffentliche Mordaufrufe gegen eine Person sind eine Einschüchterungstaktik, die nicht nur auf allen Ebenen moralisch verwerflich, sondern auch strafbar ist. Der israelbezogene Antisemitismus scheint als Thema nicht auftauchen zu dürfen, eine Aufklärung darüber soll offenbar verhindert werden. Es ist auch Ihnen bekannt, dass es Gruppen an der hiesigen Universität gibt, die versuchen, jede Diskussion um Antisemitismus über den Vorwurf des antimuslimischen oder antipalästinensichen Rassismus auszuhebeln. Dass der Brief des AStA-Sozialreferates dabei zu einer dieser Strategien gehört, scheint uns offensichtlich zu sein. Mit der Diffamierung der Referentin Tina Sanders und ihrem Vortragsthema geht es diesen Gruppen inzwischen um weit mehr als um die aktuelle Situation in Nahost: es geht ihnen um die Unterbindung jeglicher Antisemitismuskritik, die in diesem Falle anhand des Werks eines mehrfachen KZ-Überlebenden einführend hätte stattfinden sollen.
Aus unserer Sicht wäre es angemessen, dass der Vortrag nachgeholt wird, die Kosten von der Universität gedeckt werden und eine öffentliche Entschuldigung seitens der Universität gegenüber der Referentin ausgesprochen wird. Wir wünschen uns, dass dem Antisemitismus, der Diffamierung und Drohgebähren durch einige studentischer Akteure Konsequenzen folgen.
Gerne stehen wir Ihnen als Bündnis zu einem Gespräch zur Verfügung.
Freiburger Bündnis Gegen Antisemitismus
27.10.2024